Die Ausstellung nimmt die Fotos Spelterinis aus der Graphischen Sammlung der Nationalbibliothek zum Ausgangspunkt, um eine Geschichte der Luftaufnahme in der Schweiz zu erzählen. Sie führt über das Fotografieren aus dem Flugzeug und dem Satelliten bis zur Drohne. Im vorletzten Jahrhundert erforderte das Aufnehmen von oben Pioniergeist. Heute machen Drohne die Luftfotografie allgemein zugänglich.
Wie sieht die Schweiz von oben aus? Diese Frage beantwortet Eduard Spelterini für viele ein erstes Mal. Mit seinem Gasballon steigt Spelterini in Zürich, Kandersteg oder Kairo auf und fotografiert die unter ihm vorbeiziehende Erde. Damit beginnt die Geschichte der Luftaufnahme in der Schweiz. Spelterinis Fotografien eröffnen neue Perspektiven.
Flugzeug, Satellit und Drohne haben die Luftaufnahme seither grundlegend verändert. Die neuen Fluggeräte bringen neue Auflösungen und Anwendungen. Als Satellitenbilder im Internet sind Luftaufnahmen heute allgemein zugänglich. Per Drohne kann jede und jeder selbst im Flug fotografieren und filmen. Luftaufnahmen gehören zur Alltagskultur. Seit Spelterini stehen sie für eine andere Sicht der Dinge. Der Blick von oben vereint Wissen über Landschaft, Technik und Ästhetik. Er bringt Verborgenes zum Vorschein und lässt das Vertraute als Teil eines neuen Ganzen erscheinen.
Kapitän Eduard Spelterini vor seinem Ballon "Stella", der befüllt wird auf der Kleinen Scheidegg, 1904. Wikimedia
Eduard Schweizer wird am 2. Juni 1852 im St. Gallischen Bazenheid geboren. Zwanzig Jahre später beginnt sein zweites Leben: In Paris verwandelt sich Schweizer in den weltläufigen Abenteurer und Ballonfahrer Spelterini. Dieser Spelterini lässt sich 1887 seinen ersten Ballon nähen, die Urania. Damit steigt er in London, Moskau oder Wien auf, begleitet von Fürsten und Forschern, beklatscht von Abertausenden.
1893 beginnt Spelterini aus dem Ballon zu fotografieren, eine technische Meisterleistung, die in der Schweiz keiner vor ihm wagt. In zahlreichen Vorträgen zeigt er seine Fotos. Die Bilder brillieren auch ästhetisch. Sie zeigen eine völlig neue Sicht auf die Welt. Doch dann zerstört der Erste Weltkrieg das Geschäft. Immer mehr Flugzeuge dröhnen über den Himmel. Das Interesse am tollkühnen Luftschiffer verpufft. Verarmt und vergessen stirbt Spelterini am 16. Juni 1931 im österreichischen Vöcklabruck.
Weitere Luftaufnahmen von Eduard Spelterini können Sie auf Wikimedia Commons entdecken.
Alex Capus zu Eduard Spelterini.
Paul Klee, Der Luftballon, 1926, Öl auf Holz, Reproduktion, Wikimedia
In einem Heissluftballon der Gebrüder Montgolfier gelingt 1783 der erste bemannte Flug der Geschichte. Die erste Aufnahme aus der Luft bringt der Pariser Fotograf Nadar 1859 zurück an den Boden. Erst 34 Jahre später fertigt Spelterini die ersten Luftaufnahmen der Schweiz an. Technisch bleibt das Verfahren äusserst anspruchsvoll: Die sich ändernde Flughöhe und Luftfeuchtigkeit führen zu Unschärfe, tiefe Temperaturen lassen die Mechanik einfrieren und machen das Bedienen der Fotokästen zu einer delikaten Operation, bei unsanften Landungen zerbrechen die Glasplattennegative.
Trotz dieser Hindernisse investiert auch das Militär in die Ballonfahrt. Im ersten Weltkrieg gehören Aufklärungsballone zum Frontbild. Ab 1900 unterhält auch die Schweizer Armee eine Ballonkompanie und experimentiert mit einem Fesselballon, der als «Bundeswurst» Berühmtheit erlangt.
Collections du Musée suisse de l'appareil photographique, Vevey. Fonds Adrian Michel
Um 1900 ist besonders die militärische Nachfrage nach Luftaufnahmen gross. So werden neben Lenkdrachen, Raketen und Ballonen auch Brieftauben als Flugmittel rekrutiert. Der deutsche Apotheker Julius Neubronner konstruiert 1903 eine Miniaturkamera, die er seinen Brieftauben um den Hals hängt. Per verzögertem Selbstauslöser entstehen aufsehenerregende Aufnahmen.
Aber die Brieftaubenfotografie bleibt unzuverlässig. Eigentlich ist sie bereits Geschichte, als der Aargauer Unternehmer und Erfinder Adrian Michel die Idee aufnimmt und erneuert. In der 1930er Jahren gelingen Michel und seinen Tauben erstaunliche Aufnahmen. Trotzdem setzt sich die Brieftaubenfotografie nicht durch. Dem einzigen potenziellen Grosskunden, der Schweizer Armee, ist sie zu wenig beherrschbar.
Vermessungsflugzeug L+T. DH5 No. 469. 1935. Technische Aufnahme 4941b, Original: Kunststoffnegativ, 6x6cm © swisstopo, Bildsammlung
Leise, langsam und nach den Launen der Natur gleiten Ballon und Taube. Dann der grosse Knall: Laut, schnell und vor allem präzise navigierbar fliegt das motorisierte Flugzeug. Im Ersten Weltkrieg setzt es sich durch. Künstler wie László Moholy-Nagy und Le Corbusier feiern die Maschine frenetisch als Bote einer modernen, von der Technik bestimmten Ära. Die Vogelperspektive erklären sie zum Träger eines neuen Sehens.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltet sich der Alltag der Flugaufnahmen prosaischer. In der Schweiz entstehen Luftaufnahmen von praktisch jedem Weiler, die unter anderem der Photoglob-Verlag als Postkarten vertreibt. Die Schweizerische Landestopographie überfliegt und fotografiert regelmässig das ganze Land zu Vermessungszwecken. Und der Schnappschuss aus dem Flugzeugkabine findet seinen festen Platz im Ferienalbum.
Einen weiteren Blick von oben durch die Linse der Pioniere der Schweizer Luftfahrfotografie findet sich derzeit auch auf der Homepage Explora der ETH Zürich.
Erdaufgang, Fotografiert von Bill Anders am 24. Dezember 1968. Online: Wikimedia
Am 24. Dezember 1968 umrunden die Astronauten der Apollo 8 Mission den Mond und fotografieren seine Oberfläche. Sie suchen Landeplätze für die Mondlandung von 1969. Unverhofft gerät die hinter dem Mond aufgehende Erde ins Blickfeld. Geistesgegenwärtig lichten die Astronauten den blauen Planeten ab. «Earth Rise» wird zur Ikone. Das Bild der Erde als kleine blaue Kugel inmitten einer weiten Leere steht für die Schutzwürdigkeit der Umwelt.
Heute sendet die International Space Station (ISS) Erdaufnahmen im Livestream. Die Fotografie von sehr weit oben ist im Alltag angekommen. Ob als Pistenkarte im Skiurlaub, als App auf dem Smartphone oder als interaktive online-Karte: Satellitenbilder verändern unseren Orientierungssinn und unsere Raumwahrnehmung.
Am 14. April 2014 stellt Amit Gupta sein «Bernal Hill selfie» online. Der kurze Clip stösst auf Begeisterung. Er zeigt eine Selbstaufnahme per Drohne. Ein Kommentator prägt dafür den Begriff «Dronie». Mit Guptas Video geht die Luftaufnahme per Drohne in die Populärkultur ein. Drohnen können jeden Ausflug festhalten – oder hinter Hecken und durch Fenster blicken. Sie machen Luftaufnahmen allgemein möglich, mit allen Vor- und Nachteilen.
Eine ganz andere Drohnenaufnahme zeigt einen Vorplatz im südafghanischen Kandahar. Wenig später detoniert eine Hellfire-Rakete. Es ist der erste bekannte Drohnenangriff. Bis heute bleibt unklar, wie viele Menschen an diesem 7. Oktober 2001 sterben. Genauso unbekannt ist die Zahl der tausenden Drohnentoten seither. Sicher ist dagegen: Der Blick von oben bedeutet Macht. Er dient seit jeher militärischen Zielen.