Die Schweiz liebt ihre Chalets. Aber was ist eigentlich ein Chalet? Hat es eine bestimmte Form? Werden bestimmte Materialien dafür verwendet? Oder ist es einfach ein Sinnbild für die Sehnsucht nach erholsamen Ferien in der Schweiz? Antworten auf diese Fragen liefert die Geschichte und Gegenwart des Chalets: von seiner «Entdeckung» in der Romantik bis zu zeitgenössischen neuen Interpretationen.
Friedrich-Wilhelm Moritz (1783-1855), Au village de Meyringuen, Cant. de Berne, Zeichnung, um 1819. Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek
Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten ausländische Literatinnen und Literaten und wohlhabende Reisende die Alpen als romantischen Rückzugsort. Die Landschaft mit ihren Weiden, Chalets und Bewohnerinnen und Bewohnern standen sinnbildlich für die demokratischen und bodenständige Werte der Schweiz. Weil das Chalet so einfach und idealtypisch «gestrickt» ist, liess es sich perfekt als Exportartikel und Souvenir vermarkten. So wurde es weltweit zu einem Klischee für das «einzig Volk von Brüdern» und die gesunde Alpenwelt.
Das «Swiss Cottage» im Singleton Park, Swansea (UK). 1826 nach einer Schweiz-Reise erbaut von Peter Frederick Robinson. Foto: Swansea.gov.uk
Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) entfachte in ganz Europa eine Begeisterung für die Schweizer Berge mit ihren pittoresken Holzhäuschen. Bald fand das Chalet als folly (Zierbau) Eingang in die Landschaftsparks des Adels. Schweizer Holzbaubetriebe machten sich die Popularität des Chalets zu Nutzen und verwandelten es in ein industrielles Exportprodukt. Bald gab es Kataloge mit vorfabrizierten Châlet Suisse, die man als Fertigbausatz im 1:1-Format bestellen konnte. Und in der Belle Époque fanden Engländerinnen und Amerikaner im Swiss Cottage einen adäquaten Baustil für ihre Landsitze, auch wenn diese Stein und Holzhäuser mit dem Chalet nur noch das Laubsägewerk gemeinsam haben.
Mehr zur Geschichte des Chalets erzählt Marion Sauter im Gegensprecher - dem Podcast zur Ausstellung.
Haus des Friedensrichters Huber in Meiringen, aus: Ernst Gladbach, Der Schweizer Holzstyl in seinen kantonalen und constructiven Verschiedenheiten mit Holzbauten Deutschlands, Zürich, 1882
Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche sowie die Industrialisierungsschübe Ende des 19. Jahrhunderts bestimmten immer mehr den Lebensalltag. Dies schärfte zugleich das Bewusstsein für traditionelle Werte und handwerkliche Techniken, die dadurch verlorenzugehen schienen. Als Bewunderer des ländlichen Bauhandwerks realisierte der aus Darmstadt stammende Architekt Ernst Gladbach (1812–1896), seit 1857 Professor an der ETH Zürich, ein umfangreiches Tafelwerk, in dessen Zentrum regionale Besonderheiten und technisch-konstruktive Aspekte stehen. Sein Werk wurde europaweit wahrgenommen und diente Architekten des Heimatstils als wichtige Inspirationsquelle.
Mehr Bilder und Informationen zu Schweizer Chalets im 18. und 19. Jahrhundert liefert die Webseite www.kleinmeister.ch der Graphischen Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek.
Das Schweizerdorf auf der Pariser Weltausstellung 1900, unbekannter Fotograf, Brooklyn Museum Archives
Mit den Weltausstellungen wurde das Schweizerhaus oder Châlet Suisse weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Mitte des 19. Jahrhunderts machte es die Erfindung der Kopierfräse möglich, Chalets industriell vorzufabrizieren. Nun konnten die gewünschten Holzbauten als Fertighäuser ab Katalog in jeder gewünschten Dimension bestellt werden. So entstanden in der ganzen Schweiz «Chaletfabriken», welche die vorbearbeiten Balken und verzierten Bauelemente in die ganze Welt lieferten. Diese industriell und standardisiert hergestellten Verzierungen sind namensgebend für den «Laubsägeli-Stil» sowie für die in der Gründerzeit in grosser Zahl errichteten Chalets, Kurhotels und Gasthäuser.
In Flims fordern Georg Nickisch und Selina Walder mit einem Chalet aus Beton Sehgewohnheiten heraus. Refugi Lieptgas, Flims 2012. Foto: Gaudenz Danuser
Aufgrund des Klimawandels ist Holz als ökologisches Baumaterial stark in den Fokus gerückt. Besonders im urbanen Raum werden aktuell wegweisende Holz(hoch)häuser projektiert und realisiert: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff aus lokalen, nachhaltig bewirtschaftbaren Mischwäldern, es bindet seinerseits CO2 und sorgt nicht zuletzt für ein angenehmes Raum- bzw. Wohnklima. Da immer mehr Architektinnen und Architekten mit Holz bauen, hat der Holzbau sein Chalet-Image längst verloren. Und auch im alpinen Raum sind neuere (Ferien-)Häuser typologisch und / oder konstruktiv keine traditionellen Strickbauten mehr; in ihrer Funktion als Rückzugsorte in den Bergen bleiben sie jedoch Chalets.