Spracherkennung, Autokorrektur, Copy-and-paste: Neue Techniken des Aufschreibens erobern den Alltag. Das Schreiben verändert sich seit 150 Jahren immer schneller: Vom Federkiel über die Schreibmaschine bis zu automatischer Spracherkennung und künstlicher Intelligenz.
Übernehmen Maschinen das kreative Schreiben? Seit rund einem Jahrzehnt lernen Algorithmen immer neue Aufgaben. Sie sortieren, selektieren, kommunizieren - und schreiben. Sie werten grosse Datenbanken superschnell aus und reagieren passgenau auf spezifische Anfragen. Diese lernfähigen Algorithmen werden als «künstliche Intelligenz» (KI) vermarktet. Sind sie in der Lage, Literatur zu schreiben?
In der Ausstellung «Aufgeschrieben» liefert eine KI Antworten. Diese KI wurde von den Digital Humanities der Universität Bern erschaffen. Sie hat enorm viele Texte von Robert Walser und Emmy Hennings gelesen. Und sich beigebracht, wie die beiden zu schreiben. Die Besucherinnen und Besucher können in der Ausstellung eine Thema vorgeben und die KI antwortet mit einem Text im Stil von Walser oder Hennings. Ob das gelingt, liegt im Auge der Betrachterin oder des Betrachters:
Kann eine KI am Werk von Robert Walser weiterschreiben?
Foto: Robert Walser am 1. Juni 1942 auf dem Säntis (Montage: Melanie Brandel)
© Keystone SDA / Robert Walser-Stiftung Bern (Fotograf: Carl Seelig)
Mehr zu Schreiben und künstlicher Intelligenz im Gespräch mit Martina Clavadetscher: im «Gegensprecher», dem Podcast zur Ausstellung.
Tintenfass (1726). Nachlass Peider Lansel, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek (Foto: NB, Simon Schmid)
Künstliche Intelligenzen, die Literatur schreiben? Das mag Zukunftsmusik sein. Dabei hat sich das Aufschreiben in den letzten Jahren stark verändert: Elektronische Stifte fürs Tablet, die Diktierfunktion auf dem Smartphone oder vorprogrammierte Chatbots gehören heute selbstverständlich zu unserem Alltag.
Die digitale Transformation hat diesen Wandel beschleunigt. Aber bereits in den 150 Jahren davor veränderte sich das Aufschreiben immer wieder. Ein Blick in das Schweizerische Literaturarchiv zeigt, wie die Mechanisierung und die Automation des Schreibens seit der Industrialisierung betrieben und propagiert wurden. Davon zeugen diverse Schreibwerkzeuge von Autorinnen und Autoren, ebenso wie ihre schriftstellerische Auseinandersetzung mit ihren Nadeldruckern oder Tintenfässern.
Die neuen Schreibinstrumente bedingen neue Arbeitsroutinen. Zum Beispiel das Diktat: Auch hier haben digitale Programme die Arbeit übernommen. Sie erkennen gesprochene Sprache und arbeiten sie automatisch in Text um. Wie zuverlässig diese Technologie aktuell arbeitet, können die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung testen. Sie schreiben gemeinsam einen Text per Spracherkennungssoftware. Ob dieser Belastungsprobe gelingt, zeigt sich im Text oben.
Wenn ein Besucher am Text seiner Vorgängerin weiterschreibt, erinnert das an dadaistische Schreib-Methoden wie das «Cadavre Exquis». In der Zusammenarbeit soll etwas Neues, unvorhersehbar Kreatives entstehen. Dabei hat Diktieren auch eine äusserst konventionelle Seite. Nicht nur in der Schule, sondern auch bei Autoren. Im 20. Jahrhundert war es oft der männliche Autor, der seiner weiblichen Sekretärin diktierte. Eine Schreibsituation, in der sich die gängigen Macht- und Geschlechterstereotypen reproduzierten. Friedrich Dürrenmatt hat diese auf seine eigene Art persifliert: In seinem Fragment «Die Sekretärin» tippt die Angestellte die zweifelhaften Entwürfe ihres schriftstellernden Chefs in der Nacht um und nimmt sich die Freiheit, akzeptable Literatur daraus zu machen.
Carl Spitteler, Stenographisches Tagebuch (1867/68). Nachlass Carl Spitteler, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek (Foto: NB, Marco Stalder)
Überhaupt wird das Abschreiben gerne unterschätzt. Dabei kann beispielsweise das Umschreiben einer Hand- in eine Maschinenschrift eine grosse Kunst bedeuten. Das kann an der speziellen Ausführung der Handschrift liegen, wie bei den Mikrogrammen Robert Walsers. Oder an einer unbekannten Schrift, wie im Fall des Schweizer Literaturnobelpreisträgers Carl Spitteler. Spitteler musste seine stenographischen Tagebuchaufzeichnungen selbst transkribieren, damit sein designierter Biograf Jonas Fränkel sie überhaupt lesen konnte.
Heute läuft auch die Schrifterkennung zunehmend digital. Während nur noch wenige Menschen die «Kurrent» lesen können, gibt es mittlerweile Programme, welche diese verbreitete Handschrift des 19. Jahrhunderts automatisch erkennen. Wie das funktioniert, erklärt Professor Tobias Hodel im Video am Beispiel eines Briefs von Rainer Maria Rilke.
Karl Gerstner, Entwurf für die Schrift «Gerstner Original».
Archiv Karl Gerstner, Graphische Sammlung, Schweizerische Nationalbibliothek (Foto: NB, Simon Schmid)
Eine Schrift hat immer auch ein Bild. Das Aussehen der Buchstaben bestimmt die Wirkung eines Textes mit. Entsprechend kümmert sich eine ganze Wissenschaft um die Gestaltung von Schriften. Die Schweiz besitzt darin einen hervorragenden Ruf.
Zu den international renommierten Schweizer Typografinnen und Typografen gehörte auch Karl Gerstner. Wie exakt Gerstner bei der Schriftgestaltung vorging und wie genau er an jedem Schwung der Buchstaben feilte, geht aus seinem Archiv hervor, das die Graphische Sammlung der NB aufbewahrt. Schreiben, das machte Gerstner deutlich, ist immer auch eine Frage des Designs.
Aglaja Veteranyi, Beschriftetes Brautkleid (2001). Nachlass Aglaja Veteranyi, Schweizerisches Literaturarchiv, Schweizerische Nationalbibliothek (Foto: NB, Simon Schmid)
Wer schreibt, setzt Gedanken zu einem Schriftbild zusammen. Dabei ist zentral, wie geschrieben wird. Nicht nur müssen die Hände anders trainiert werden, ob man mit Gänsefeder, Schreibmaschine oder Smartphone schreibt – auch die Gedanken müssen in einem anderen Rhythmus fliessen. «Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken», notierte Friedrich Nietzsche entsprechend.
Zahlreiche Autorinnen und Autoren haben über die Mitarbeit ihrer Schreibutensilien an ihrem Werk geschrieben: Blaise Cendrars sang das Lob der Musikalität seiner Remington («Ma machine bat en cadence / Elle sonne au bout de chaque ligne»), Hermann Burger fügte in sein Romanprojekt «Lokalbericht» angesichts des Protagonisten «beiden nigelnagelneuen, meinetwegen jungfräulichen Schreibmaschinen» einen virtuosen Exkurs über die Konkurrenz und das Zusammenspiel der eleganten Hermes und der sportlichen Olivetti ein, und Paul Nizon entwickelte aus der Mechanik des Schreibprozesses mit der Maschine eine ganze Metaphorik der Kreation: «Hübscher Einfall, das! Das Wägelchen der Schreibmaschine gleichzusetzen mit den Gedankenschienenwegen und Gedankenfuhren.» Aglaja Veteranyi wiederum schrieb ihre Texte über Mutterschaft, Tochter sein und Tod direkt auf ein Brautkleid, von welchem sie diese in einer Performance im Spätsommer 2001 vorlas.
Schreiben, lesen, denken, fühlen liegen nahe beieinander. Das Aufgeschriebene ist ihre gemeinsame Spur.